Andere Sichtweisen und Fokussierungen

Interview mit Heinz E. Pfeifer, Berater, Coach und Mediator mit Sehbehinderung

Was sind bei Ihrer Arbeit Ihre Grundsätze und Ihr Fokus, worauf „schauen Sie“?
In meinen Ausbidlungen und in meinem beruflichen Werdegang habe ich immer darauf geachtet eine möglichst gute Arbeit zu leisten. Meine Kunden oder mein Arbeitgeber haben den berechtigten Anspruch eine möglichst gute Leistung für ihr Geld zu bekommen. Ein Beispiel: Ich war während meiner Studienzeit u.a. als D.J. tätig. Gerade zu beginn des Abend waren oft nur wenige Gäste im Lokal. Schnell neigt man dann dazu nur ein Band laufen zu lassen und sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Die Getränke kosten zu Beginn des Abends gleich viel wie vor der Sperrstunde. Auch wenn nur ein Gast im Lokal ist, so hat dieser den Anspruch auf die volle Leistung, also auf bemühtes Personal. Ob bei Prüfungen oder im Berufsleben ist meine Sehbehinderung mein Problem, d.h. ich muss die Leistung bringen. Ich kann mich da gut auf eine Prüfungssituation erinnern. Der Professor hat mich da gefragt ob ich Probleme beim Lesen und Lernen des vorgeschriebenen Textes gehabt hätte. Ich habe ihm geantwortet, dass es seine Aufgabe sei meine Leistung bei der Prüfung zu beurteilen und nicht meine Sehbehinderung. Auch wenn ich sehr viel selbstständig machen kann, so liegt es bei mir auf der Hand, dass ich doch nicht alles machen kann. Bei mir ist es die Sehbehinderung. Darüber hinaus habe ich genauso meine persönlichen und fachlichen Stärken und Schwächen wie jeder andere Mensch auch. Ich bin deshalb davon überzeugt, dass wir nur im Team gute Leistungen erbringen können. Deshalb ist mir ein wertschätzender Umgang und eine positive Fehlerkultur sehr wichtig. Ob Mitarbeiter oder KundInnen ich plädiere für ein wertschätzendes, offenes und respektvolles Miteinander.

Wenn es um Barrierefreiheit geht, geht es schnell um bauliche Barrieren. Zugänge mit Stufen, rollstuhlgerechte Toilettanlagen. Wie bewältigen Sie Ihren Alltag und wie müssen Sie auf bestimmte vorhandene Barrieren reagieren? Wo fängt aus Ihrer Sicht Barrierefreiheit an und welche Empfehlungen haben Sie für Unternehmen im Sinne von Kundinnen-/Kundenorientierung und -service?
Es beginnt schon beim Begriff „Barrierefreiheit“ – zumeist wird dabei nur an Rollstuhlfahrer gedacht. Rollstuhlgerecht ist nicht automatisch barrierefrei. Was ist mit den Menschen, die eingeschränkte kognitive Fähigkeiten haben, Menschen, die die deutsche Sprache nur eingeschränkt beherrschen, Menschen die nicht sinnerfassend lesen können, Menschen die schlecht oder überhaupt nicht hören können - oder wie in meinem Fall, Menschen die ein eingeschränktes Sehvermögen haben? Beispielsweise gibt es in Österreich rund 300.000 Menschen mit einer nicht behebbaren Sehbehinderung. 60 % der Erwachsenen in Österreich tragen eine Brille, über 700.000 der ÖsterreicherInnen benötigen eine Lesebrille. Ein Umstand, der in der Gesellschaft und vor allem in der Wirtschaft wenig berücksichtigt wird. In der Wirtschaft geht es um die Bedienung bzw. Deckung von KundInnenbedürfnissen. Die „optischen Bedürfnisse“ werden da mit Füssen getreten. Nehmen wir den modernen Baustil her – Glas, weite Flächen ohne Kontraste, Farbgestaltungen Ton in Ton usw. – Ich bin da nicht der Einzige, der da Probleme hat. Wenn sich die Menschen in meinen Räumlichkeiten gut zurecht finden, sich sicher bewegen können, dann fühlen sie sich auch wohl. Gute Kontraste, gekennzeichnete Stufen und Gehwege, gut lesbare Tür- und Hinweisschilder, etc. – man muss nicht Sehbehindert sein um dann besser zurecht zu kommen. Vereinzelt findet man sogenannte „Blindenleitsysteme“ – die sind aber nur für Menschen nutzbar, die mit Blindenstock unterwegs sind bzw. über die notwendigen „Blindentechniken“ verfügen. Auch die Blinden- bzw. Brailleschrift ist nur von wenigen Menschen mit Sehbehinderung nutzbar. Ich bin sehr viel unterwegs, also trotz meiner Sehbehinderung sehr mobil und da stoße ich auf so manch unnötige Barrieren. Bei entsprechender Rücksichtnahme können viele Barrieren von vorn herein ohne finanziellen Mehraufand vermieden werden.

Wir sagen auch immer wieder, dass es „Barrieren im Kopf“ abzubauen gilt. Wie sehen Sie das in Bezug auf Ihre Lebenserfahrungen mit Ihren Mitmenschen?
Ich merke immer wieder, dass ich entweder von oben herab behandelt, oder auf ein Podest gestellt werde. Mit Podest meine ich Aussagen wie: „Ich bewundere dich so ...“ Auf jeden Fall führt dies dazu, dass man als Mensch mit Behinderung nicht auf Augenhöhe gesehen wird. Beispiel: Wenn ich mich für einen Job bewerbe, so werde ich schon in der Vorauswahl aussortiert. Der Umstand „Sehbehinderung bzw. Blindheit“ führt zu bestimmten Reaktionen. In meinem Fall Distanzierung und Abblockung. Auf eine gewisse Weise verstehe ich das ja. Wenn ich einen Arbeitsplathz besetzen muss und ich habe die Auswahl zwischen zehn BewerberInnen – warum soll ich genau den mit der Behinderung nehmen?
Wenn sie meinen Lebenslauf betrachten, so kann ich auch ohne den Umstand meiner Sehbehinderung einen beeindruckenden Werdegang aufweisen. Kaum jemand kommt da auf den Gedanken: „Wie schafft jemand so etwas?“ Wie ist es möglich trotz einer derartigen Einschränkung diese Dinge zu machen? Da muss jemand doch über Fähigkeiten verfügen, die sich den meisten nicht erschließen? Für die meisten Menschen ist Blindheit eine unüberwindbare Hürde und man will sich mit diesem Thema nicht weiter beschäftigen. Die Begegnung mit Menschen mit Behinderung löst in den meisten Menschen auch Emotionen aus. Emotionen die man doch lieber nicht haben will. Also hält man sich bzw. den Behinderten fern. Ich musste im Laufe meines Lebens immer wieder Lösungen finden, Probleme bewältigen und mich den Herausforderungen stellen. Da ich ein offener und neugieriger Mensch bin, habe ich sehr viel ausprobiert und gemacht. Freilich ist mir Vieles auch nicht gelungen, doch wie heißt es so schön: „Ich bin in meinem Leben noch nie gescheitert. – Ich habe aber jede Menge Wege gefunden, wie man es nicht machen sollte!“ Ich habe jede Menge Wege gefunden wie man es trotz einer offensichtlichen Einschränkung schaffen kann.

Wenn Sie das so schildern geht es eigentlich dann um Schubladendenken, Ängste und Unsicherheiten sowie Kompetenzen im Kontext zu betrachten. Was bedeutet diese Konsequenz dann für Unternehmen im Recruitingprozess sowie beim Thema Führung?
Wie vieles andere im Leben muss man auch dieses Thema differenziert betrachten. Beginnen wir bei den Personalverantwortlichen. Wie steht man persönlich zu diesen Thema? Was lösen Menschen mit Behinderung in einem aus? Was sind die persönlichen Motive, einen Menschen mit Einschränkung ins Team zu holen? Kann ich trotz Behinderung die Stärken und Kompetenzen des Menschen erkennen? Ich erfahre oft, dass eine sichtbare Behinderung sämtliche Aufmerksamkeit bündelt und der Mensch dahinter nicht erkannt wird. Ein Beispiel aus meinem Leben: Ich war vor zwei Jahren auf einem Klassentreffen und die einzige Frage die mir gestellt wurde ist: „Wie geht es dir mit den Augen?“ Keine einzige Frage nach Beruf, Familie, Lebensweg, etc. Da zeigt sich schon wie sehr die Behinderung meine zwischenmenschlichen Beziehungen beherrscht. Im Umkehrschluss ist es ja nicht so, dass der Wegfall meiner Behinderung meine Lebensprobleme löst. Im Gegenteil – wenn ich an mein Leben denke, so sind es die selben Herausforderungen, die wir alle zu bewältigen haben. Die Gestaltung positiver Beziehungen, mit seinen Eltern klar kommen, die eigenen Fähigkeiten erkennen und umzusetzen, sich eine Existenz aufbauen und einen Lebenssinn finden – einfach nur glücklich zu sein – ist nicht von meiner Behinderung abhängig. Ich beobachte das auch bei anderen Menschen mit Behinderungen. Das Hauptproblem ist nicht die körperliche Einschränkung sondern persönliche Defizite. Schwierig zu unterscheiden was nun ein behindertenspezifisches Defizit ist oder was in den persönlichen Kompetenzen des Menschen liegt. Auch als Mitarbeiter mit einer Behinderung muss ich mich an Regeln halten, meine Leistung erbringen und verträgliche Umgangsformen an den Tag legen. Für Personalverantwortliche heisst das, dass man den/die MitarbeiterIn mit oder ohne Behinderung gleich in die Eigenverantwortung nehmen kann und soll. Meiner Erfahrung nach gelingt die Integration von Menschen mit Behinderungen immer dann am Besten, wenn der/die Betroffene über individuelle Stärken verfügt. Das können fachliche oder soziale Kompetenzen sein. Auf alle Fälle aktzeptieren KollegInnen und Vorgesetzte Defizite wenn sie eine entsprechende „Gegenleistung“ bekommen.

Danke für das Gespräch und Ihre Sichtweisen!