Lifelong Guidance und Alter(n)sgerechtes Arbeiten

Studie „Lifelong Guidance und Arbeitsmarktintegration. Analyse von Good Practice Beispielen für ältere Personen (50+) in ausgewählten europäischen Ländern.“

Studienautorin Heidemarie Müller-Riedlhuber im Gespräch

Was sind Ihre Erfahrungen damit in Österreich?
In Bezug auf die lebensbegleitende Beratung von Personen im Alter 50+ zeigt sich im Vergleich von Österreich mit Ländern wie Finnland, Schweden, Schottland/UK und Deutschland, dass das Thema demografischer Wandel und daraus resultierende Veränderungen in der Altersstruktur von Belegschaften bzw. Verfügbarkeiten von Fachkräften aktuell zwar an Aufmerksamkeit gewinnt, jedoch noch wenig in der Praxis von Unternehmen angekommen ist.
Im Bereich der Förderung bzw. des Erhalts der Gesundheit von Arbeitskräften gibt es in Österreich zwar bereits seit längerem unterschiedlichste Maßnahmen und Projekte guter Praxis (z.B. fit2work mit personen- und unternehmensbezogener Beratung oder Early Intervention 50+, einer Kombination aus Kompetenzbilanzierung, Beratung und Ermittlung von Qualifizierungsangeboten), aber es gibt nur sehr wenige Angebote, die auf die Einbeziehung von Unternehmen abzielen, wo es um die Gesundheit von MitarbeiterInnen geht. In anderen Ländern wird den Unternehmen deutlich mehr Verantwortung für die Gesundheit ihrer Belegschaft auferlegt, zum Teil durch rigorose gesetzliche Bestimmungen, die auch zu klarer finanzieller Beteiligung an Kosten von z.B. Invalidität führen können, zum Teil durch einen traditionell verankerten Fokus auf die Arbeitsfähigkeit (employability), zum Teil aber auch durch freiwillig vom Unternehmen bereitgestellte Angebote und Leistungen.

Das Konzept der Arbeitsfähigkeit, das in Finnland und Schweden schon seit vielen Jahren in die Entwicklung von Maßnahmen einfließt, wird auch in österreichischen Betrieben seit mehreren Jahren in (Pilot-)Projekten zu alter(n)sgerechtem Arbeiten umgesetzt, wobei kontinuierliche Weiterbildung und eine gesundheitsfördernde Umgebung aber Themen sind, die nicht nur ältere ArbeitnehmerInnen betreffen. Es zeigt sich jedoch, dass Projekte in diesem Bereich vor allem in Produktion und Industrie umgesetzt werden, wo hohe körperliche Anforderungen die Gesundheit belasten. Im Dienstleistungsbereich hingegen, wo psychische Belastungen stark im Zunehmen sind und ein hoher Frauenanteil vorherrscht, sind nur wenige Projekte anzutreffen. Hinsichtlich der Implementierung von alter(n)sgerechten Arbeitsbedingungen und gesundheitsfördernder Maßnahmen, die einen längeren Verbleib Älterer auf dem Arbeitsmarkt unterstützen sollen, sollte insgesamt stärker nach Branchen differenziert werden.
Maßnahmen im Bereich alter(n)sgerechten Arbeitens sind oft auch auf größere Unternehmen beschränkt, wohingegen in kleinen und mittleren Unternehmen deutlich weniger Projekte zu finden sind. Da KMUs in Österreich stark vertreten und Gesundheitsförderung sowie alternative Arbeitszeitmodelle hier selten sind, besteht in diesem Bereich weiterhin Bedarf an entsprechenden Initiativen. In Deutschland haben Beratungsprogramme häufig KMUs als explizite Zielgruppe. Dabei liegt der Schwerpunkt meist auf aktivem bzw. produktivem Altern und der Weiterbildung von älteren Beschäftigten. Häufig wird auch das Lernen am Arbeitsplatz thematisiert, das sowohl von Älteren als auch von den Betrieben gut angenommen wird, da für beide Seiten die Vorteile von solchen Weiterbildungen rasch sichtbar werden.

In Bezug auf alter(n)sgerechte Arbeitszeitmodelle sind in den verschiedenen Ländern unterschiedliche Formen einer flexibleren Arbeitszeitgestaltung anzutreffen, zum Beispiel:

  • Altersteilzeit gibt es in Österreich und Deutschland. Sie wurde allerdings häufig als Blockvariante in Anspruch genommen, um de facto früher die Pension anzutreten.
  • Teilzeitpensionen gibt es in mehreren der untersuchten Länder. Sie ermöglichen einen gleitenden Übergang in die Pension und Zuverdienste neben Pensionsbezügen, wodurch sie zu einem längeren Verbleib Älterer auf dem Arbeitsmarkt beitragen.
  • Langzeit- bzw. Lebensarbeitszeitkonten bzw. lebensphasenorientierte Arbeitszeitgestaltung sind Modelle, die es in Deutschland ermöglichen, angesammelte Zeitguthaben für Weiterbildung, Sabbaticals oder auch eine vorzeitige Beendigung des Erwerbslebens zu nutzen. Sie basieren auf dem Prinzip des Freizeitausgleichs bzw. sollen Belastungen durch lange und ungünstige Arbeitszeiten präventiv verringern und die Arbeitsfähigkeit erhalten. Belastungen wie Wochenend-, Schicht- oder Nachtarbeit treffen Ältere besonders hart, und sollten daher für diese Zielgruppe reduziert oder mit Freizeit ausgeglichen werden, was aus Sicht von Unternehmen auch kostenneutral erfolgen könnte. Langzeitarbeitskonten können allerdings bei fehlender zwischenzeitlicher Zeitentnahme gesundheitliche Belastungen auch verschärfen.
  • Eine stärkere generelle Flexibilisierung der Arbeitszeit erfolgt z.B. in Schweden und in Großbritannien, wo ArbeitnehmerInnen aus einer ganzen Reihe unterschiedlicher Arbeitszeitmodelle wählen können.


Das LLG-Beratungsangebot in Österreich ist generell eher informationszentriert und personenbezogen. Unternehmensbezogene Beratungsangebote insbesondere für die Zielgruppe 50+ sind eher selten. In Bezug auf eine an Unternehmen adressierte Beratung, die auf eine alter(n)sgerechtere Betriebskultur abzielt, wiesen die für Österreich interviewten ExpertInnen auf Projekte im Bereich Age Management, Generationen Management und alter(n)sgerechte Arbeitsplatzgestaltung hin, bei denen EU-weite Befragungen in verschiedenen österreichischen Unternehmen ergaben, dass das Thema zwar in den Führungsetagen auf großes Interesse stößt, in der Praxis in den meisten österreichischen Unternehmen aber noch nicht verankert ist. In diesem Bereich gibt es auch nur vereinzelt Projekte wie die Initiative der NESTOR GOLD Charta (eine Art Gütesiegel, das Unternehmen im Sinne eines Bekenntnisses zur alter(n)sgerechten Führung und Organisation unterzeichnen) und es besteht Bedarf an mehr Initiativen und Beratung. Im Vergleich zu Deutschland kann angemerkt werden, dass in den vergangenen Jahren von der Bundesagentur für Arbeit insbesondere auch Beratungsangebote für Unternehmen gefördert wurden, die auf Qualifizierungsberatung abzielten und dabei Altersstrukturanalysen in Unternehmen als Ansatzpunkt nutzten, um Beratung in Bezug auf ältere MitarbeiterInnen und demografische Veränderungen in der Belegschaft bereitzustellen.

Zudem wird Guidance vor allem in skandinavischen Ländern mehr als Präventionsmaßnahme gesehen, die im Idealfall zu einer motivierten und gut ausgebildeten Belegschaft führt, die die richtigen Kompetenzen und Qualifikationen für die vorhandenen Arbeitsplätze mitbringt und so auch zu mehr Erfolg und Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens beiträgt. Die Beratung von Personen 50+ setzt in diesem Zusammenhang stärker bei der Förderung von Career Management Skills an, die die Fähigkeit Älterer, sich auf Änderungen im Beruf einzustellen bzw. mit diesen umzugehen verbessern sollen. Im Bereich von Guidance in Unternehmen zur Entwicklung von Karrieremanagement-Fähigkeiten könnte es in Österreich insbesondere mit Blick auf KMUs noch mehr professionelle Beratungsangebote geben, die die Fähigkeit von älteren MitarbeiterInnen schulen, eigene Kompetenzen und Potentiale zu erkennen, zu reflektieren und regelmäßig mit Blick auf neue Entwicklungen und Anforderungen zu erweitern.

Was können Unternehmen hier tun – was empfehlen Sie?
Abgeleitet aus den oben angeführten Punkten, stellen sich als wichtige Handlungsfelder für Unternehmen folgende Bereiche dar:

  • Stärkung/Implementierung von Age Management und Generationen Management, dazu gehört insbesondere:
    • Altersstereotype und -vorurteile abbauen, Schulung der Führungskräfte
    • Diversität auch hinsichtlich der Altersstruktur im Unternehmen fördern
    • Altersstruktur- und Qualifikationsstrukturanalysen im Unternehmen durchführen
    • Modelle alterssensibler Laufbahngestaltung entwerfen
    • Altern und Arbeitsfähigkeit in alle Entscheidungen des Unternehmens integrieren und möglichst alle AkteurInnen und Beteiligten vernetzen
    • Professionelle Beratungsangebote, Umsetzungs- und Förderunterstützung nützen

  • Alter(n)sgerechter Arbeitsbedingungen etablieren, dazu gehört insbesondere:
    • Flexibilisierung der Arbeitszeitgestaltung: dies kann von der Etablierung einer Pausenkultur über zeitnahe Zeitausgleiche bis zur alter(n)sgerechter Schichtplangestaltung oder Etablierung flexibler Arbeitszeitmodelle reichen
    • Flexibilisierung der Arbeitsorganisation: kann z.B. die Bewertung der Arbeitsplätze auf besonders belastende Tätigkeiten für Ältere, eine belastungsbasierte Einstufung der Arbeitsplätze, die Ermöglichung eines Arbeitsplatzwechsels für Ältere (Job-Rotation), altersdifferenzierte Anpassungen der Leistungsanforderungen oder Job-Enrichment (Verbesserungsmöglichkeiten der Arbeitssituation) umfassen
    • Gesundheitsvorsorge und Arbeitsplatzgestaltung: dies kann vom Früchtekorb in der Küche über die ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung bis zu spezifischen Maßnahmen zur Reduktion psychischer oder physischer Belastungen reichen
    • Lebenslanges Lernen, Qualifizierung, Beratung: umfasst z.B. die Nutzung des Erfahrungswissens Älterer, die Implementierung von Wissenstransfermodellen (z.B. Tandem-Learning oder Mentoring), die Weiterqualifizierung Älterer, die Schulung von Career Management Skills oder die Bereitstellung entsprechender Bildungs- und Beratungsangebote


Welches Know-how ist in Österreich noch aufzubauen?
Diese Frage war nicht im Fokus unserer Studie und ist auch schwer generell zu beantworten. Die Fragestellung unserer Studie bezog sich vor allem auf Lifelong Guidance bzw. lebensbegleitende Beratungsangebote für Personen im Alter 50+. Sie widmete sich insbesondere Maßnahmen für Personen in der Späterwerbsphase, wobei die Bedingungen und die Zielgruppen bzw. Zielsetzungen der Beratungsangebote analysiert wurden. Dabei fiel z.B. auf, dass in Deutschland ein umfangreiches Angebot an Qualifizierungsberatung für Unternehmen existiert, das auch Demografieberatung umfasst, und in den skandinavischen Ländern Age Management und Beschäftigungsfähigkeit eine vergleichsweise wichtige Rolle in Unternehmen spielt bzw. rechtliche Regelungen existieren, die Unternehmen in die Verantwortung bezüglich der Förderung und Erhaltung der Gesundheit ihrer MitarbeiterInnen nehmen.
Für Österreich wurde die unternehmensbezogene Qualifizierungsberatung für Personen 50+ und Age Management von ExpertInnen als Bereiche mit besonderem Handlungsbedarf genannt. Für Ersteres ist dabei vor allem an den Ausbau der Beratungsangebote für KMUs und die Ermöglichung von Vernetzung zu denken. Das Know-how im Bereich Age Management und Generationen Management könnte ausgebaut werden, indem Modelle und Beispiele guter Praxis aus anderen europäischen Ländern genauer untersucht und hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit auf Österreich evaluiert werden.

AMS Info
Die kompakte Zusammenfassung finden Sie hier in der AMS info 359/360.

Mehr Infos zur Studie
Ziegler, Petra; Müller-Riedlhuber, Heidemarie: Lifelong Guidance und Arbeitsmarktintegration: Analyse von Good-Practice-Beispielen für ältere Personen (50+) in ausgewählten europäischen Ländern; www.forschungsnetzwerk.at/downloadpub/WIAB_Lifelong%20Guidance%20und%20Arbeitsmarktintegration_2016_AMS.pdf

Kategorie: Blog Wissenschaftliche Arbeiten Bücher